Die Rückkehr des Lettering

Die Rückkehr des Lettering

Manuel Sesma Veröffentlicht am 6/16/2018

Oft heißt es, das moderne Lettering sei als Reaktion auf das digitale Design aufgekommen, als Suche nach etwas Organischem gegenüber der vermeintlichen Kälte der Maschine. Richtig ist sicherlich, dass auf Neuheiten bzw. technischen Fortschritt in der Regel eine Welle traditionellen Revisionismus folgt.

Die derzeitige Tendenz zum Lettering — zu Deutsch Beschriftungstechnik — begann bereits vor mehr als zehn Jahren. Rasant verbreitet hat sich das Lettering dann mit dem wachsenden Interesse an sozialen Netzwerken wie Pinterest oder Instagram.

 Die Ausbreitung des digitalen Designs hat, paradoxerweise, das Aufkommen des Lettering und anderer, eher dekorativer grafischer Ausdrucksweisen noch verstärkt. Teils ist dies darauf zurückzuführen, dass mithilfe von Grafiktabletts oder bestimmten Programmen für die digitale Bearbeitung der dekorative Effekt des manuellen Lettering imitiert werden kann.

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Eine andere Erklärung für dieses Phänomen ist, dass seit Anfang dieses Jahrhunderts, nach mehreren Jahrzehnten der Kriminalisierung durch einen extremen und falsch verstandenen Hang zur Moderne, dekorative Elemente wieder als positiv empfunden wurden. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas in der Geschichte des Designs passiert. Doch dieses Mal wurde die Verbindung mit einem bestimmten kulturellen oder künstlerischen Status aufgehoben und das Lettering hat sich zu einer alltäglichen und beliebten Technik entwickelt.

Hinzu kommt, dass wir in einer Zeit, in der jeder theoretisch alles mit einem Computer machen kann, natürlich versuchen, Dinge zu erschaffen, die eben nicht mit dem PC möglich sind. Wir verspüren den Wunsch, unseren persönlichen Stil zu definieren und uns mit etwas Einzigartigem hervorzuheben. Daher greifen wir auf alte und obsolete Techniken zurück, mit denen wir uns selbst immer wieder herausfordern.

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Die endgültige Erklärung ist schließlich, dass, als Antwort auf den Zwang zu einem merkantilistischen, modernen Design, das Bedürfnis nach dem Unnützen aufkommt, nach etwas, das selbst keinerlei wirtschaftlichen Nutzen birgt, sondern lediglich einen visuellen Genuss oder die Freude am Selbermachen mit sich bringt. Nicht alles muss perfekt sein und das Lettering ist eine der aktuellen Erscheinungen, die unseren Wunsch nach etwas mehr „Unvollkommenheit“ im Alltag ausdrücken. Dennoch hat sich das Lettering, wenn auch mit allen Nuancen und Anpassungen des aktuellen Kontexts, wieder in eine professionelle Technik entwickelt, die immer mehr an Achtung gewinnt.

An diesem Punkt muss festgestellt werden, dass, obwohl alle drei Disziplinen mit Buchstaben arbeiten, große Unterschiede zwischen Typografie, Kalligrafie und Lettering bestehen. Grob gesagt ist die Typografie eine mechanisierte Schrift, die Kalligrafie basiert auf der Geste des Schreibens und beim Lettering geht es im Wesentlichen um das Zeichnen von Buchstaben.

Die Kraft des Lettering setzt sich aus der Ausdrucksstärke der Kalligrafie, dem kommunikativen Charakter der Typografie sowie der suggestiven Macht der Illustration zusammen. Doch genau dieser Anspruch, dass das Ergebnis ein Gefühl von Frische, Spontaneität oder Freiheit hervorrufen soll, erfordert eine genaue Vorausplanung.

Professionell wird das Lettering beim Logodesign, für Verpackungen, in der Werbung, in Illustrationen für die Presse, für Bucheinbände und sogar für die Personalisierung einzigartiger Objekte wie einfache Hochzeitseinladungen verwendet. Wichtig ist daher nicht unbedingt, dass das Ergebnis besonders schön oder ansprechend ist, sondern dass es seinen Zweck erfüllt und die entsprechende Botschaft korrekt vermittelt. Im Gegensatz zu vielen Standardlösungen, bei denen ein vordefiniertes Designsystem befolgt wird, um die Kohärenz zu wahren, muss das Lettering so angepasst werden, dass es die jeweilige Botschaft ausdrückt. Daher hat jedes Element seinen ganz eigenen Stil und kann nicht in verschiedenen Projekten verwendet werden.

Es wird zudem häufig vergessen, dass die Schrift selbst — ob typografisch, kalligrafisch oder als Beschriftung — ein Mittel zur Kommunikation ist. Daher sollte darauf geachtet werden, dass die Schrift zum Inhalt passt, der vermittelt werden soll, und nicht nur schön aussieht. Ein guter Lettering-Designer weiß dies und erstellt seine Teile nach diesem Grundprinzip, anstatt sich auf die reine Nachbildung eines historischen Modells oder nur auf die Ästhetik zu beschränken.

Sie lesen diesen Artikel möglicherweise, weil Sie sich für die dekorative Seite des Lettering interessieren und es als Hobby in Betracht ziehen. In diesem Fall werden Sie eine faszinierende Technik entdecken, an der Sie viel Spaß haben können. Wenn Sie jedoch professionell am Lettering interessiert sind, aber keinen anerkannten Experten bezahlen können, würde ich Ihnen gerne ein paar Tipps geben:

  1. Wenn Sie die Technik des Lettering erlernen möchten, sollten Sie dies nicht autodidaktisch tun. Lernen Sie von den großen Meistern. Besuchen Sie, wenn möglich, einen der vielen Workshops, die überall stattfinden, sicherlich auch in Ihrer Nähe. Falls dies nicht möglich ist, können Sie einen Online-Kurs absolvieren. Die meisten Lettering-Profis bieten solche Kurse an und haben bereits sehr hilfreiche, didaktische Bücher herausgegeben.
  2. Üben Sie täglich so viel Sie können. Eignen Sie sich die Grundformen an und wiederholen Sie diese, bis sie mit der Zeit ihren ganz eigenen Stil erhalten, sie sollten einzigartig sein. Die großen Meister haben Jahre gebraucht, bis sie ihre Technik perfektioniert hatten. Es ist ganz normal, wenn die Buchstaben anfangs nicht so aussehen, wie Sie sich das vorstellen, verzweifeln Sie deshalb nicht. Das Motto heißt: Zeichen, zeichnen, zeichnen.

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  3. Die historischen Stile sind zwar in der Regel die beste Referenz, und zweifellos die beste Art, das Auge zu schulen und das Lettering zu erlernen, aber Sie sollten sich deshalb nicht darin „verbeißen“ oder versuchen, sie millimetergenau zu reproduzieren. Wichtig ist, dass Sie verstehen, wie diese Stile funktionierten und welche technischen und kommunikativen Bedürfnissen sie erfüllten.
  4. Geben Sie sich nicht mit nur einem Lettering-Modell zufrieden. Es gibt so viele zu entdecken und Sie werden feststellen, dass jeder Stil seine eigene Funktion und Bedeutung hat. Allerdings sollten Sie auch nicht mehr als zwei Stile in einem Design miteinander kombinieren. Das kann konfus wirken und der kommunikative Wert eines guten Lettering geht dabei verloren.
  5. Versuchen Sie, sich mit anderen auszutauschen, die sich ebenfalls das Lettering aneignen, und befolgen Sie die Ratschläge der großen Meister. Viele von ihnen sind leichter erreichbar, als man denkt, und es geht nichts über den direkten Kontakt. Außerdem werden Sie feststellen, dass jeder in dieser offenen Gemeinschaft einen einzigartigen Stil hat, und dass das Austauschen von Ideen die beste Möglichkeit ist, die eigene Arbeit weiterzuentwickeln.

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  6. Letztendlich sollten Sie verstehen, dass für das derzeitige Design der Computer und alle vorstellbaren Bearbeitungsprogramme nicht mehr als zusätzliche Werkzeuge zum Lettering sind. Das Korrigieren von Fehlern, Ändern einer Farbe oder Vektorisieren der manuellen Arbeit bedeutet nicht, das Lettering in seiner Essenz zu verraten, ganz im Gegenteil: Was ist denn schlimm daran, unsere Arbeit zu verbessern? Es wäre ein Fehler, zu denken, dass alles, was digital ist, nur künstlich und automatisch erzeugt wurde. In vielen Fällen enthalten Prozesse, die mit dem Computer durchgeführt werden, einen großen Anteil an Handwerkskunst.

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Sie fragen sich vielleicht, wie lange diese Tendenz zum Lettering noch andauern wird … Manche sehen in der aktuellen Lettering-Flut eine unerträgliche Luftblase, die bald zerplatzen wird. Richtig ist, dass alle Tendenzen zunächst als Reaktion auf das Alltägliche und Festgelegte auftreten. Sie kommen auf wie eine frische Brise, die uns dazu zwingt, die aktuellen Strukturen aus der Distanz zu betrachten. Was aber gestern noch als alternativ galt und heute bereits eine Massentendenz ist, kann morgen bereits ein Klischee sein, das sich unmittelbar in eine unangenehme und lächerliche Erscheinung verwandelt.

Momentan deutet nichts darauf hin, dass das Lettering in dieses Stadium der Dekadenz eingetreten ist, ganz im Gegenteil. Die Gefahr liegt allerdings in der Versuchung, jedes Design mit einem scheinbar handgemachten Lettering zu versehen, denn dann wird sein ganz besonderer Charakter irgendwann verwässern. Das gefährdet nicht nur das Designelement selbst und dessen kommunikative Funktion, sondern auch das gesamte professionelle Lettering, da es somit immer nichtssagender wird und seinen ursprünglichen Sinn verliert. Denn ein gutes Lettering ist sehr viel mehr als schön gezeichnete Buchstaben.