Vom MoMa zu Etsy: Interview mit Julia Hoffmann

Vom MoMa zu Etsy: Interview mit Julia Hoffmann

Jenny Zegenhagen Veröffentlicht am 7/18/2018

Julia Hoffman zog von Deutschland nach New York, dann wieder zurück nach Deutschland, und lebt jetzt in der Schweiz. Für die frühere Senior Creative Director bei Etsy und ehemalige Creative Director des MoMa waren diese Umzüge meist inspiriert durch bestimmte Jobs, die sie gerne annehmen wollte, kombiniert mit ihrer jeweiligen Lebenssituation (wie z. B. mit der Liebe ihres Lebens wieder zusammen zu kommen, ein Kind bekommen oder Kinder aufziehen). Heute ist sie Executive Creative Director bei EF’s Central Creative Studio und stellt sich wiederum neuen und aufregenden Herausforderungen.

Ich hatte die Möglichkeit, mich mit ihr über das Umziehen, Sprachen, die Führungsposition in einem Markenunternehmen als kreative Frau sowie über Designtrends und Veränderungen in der Branche zu unterhalten.

Ihr neuer Arbeitsplatz hat einen Umzug in ein anderes Land mit sich gebracht. Extra für einen Job das Land zu wechseln ist mutig und bewundernswert. Woher nehmen Sie den Mut und die Motivation dafür?
„Das ist ganz einfach Angst. Angst davor, sich zu lange niederzulassen und zu bequem für Veränderungen zu werden. Angst davor, nicht mehr relevant zu sein. Angst, mich nicht mehr weiterzuentwickeln, nichts Neues mehr zu lernen und zu stagnieren. Deshalb sind 5 Jahre für mich die maximale Zeit, die ich in einem Job bleiben möchte – ich brauche diese Veränderungen und suche immer wieder neue Herausforderungen, um mich als kreative Person und als Mensch weiterzuentwickeln. Ich habe all meine vorherigen Jobs sehr gerne gemacht und musste mich zwingen, sie aufzugeben, um neue Erfahrungen zu machen. Seit ich Kinder habe, wird das natürlich immer schwieriger.“

Zu Beginn Ihrer Karriere war es wichtig, sich in Druck- und Produktionsverfahren auszukennen. Das hat sich in den letzten Jahren massiv geändert. Was sind Ihrer Meinung nach die Vor- und Nachteile der Digitalisierung für das Design?
„Ja, die Branche hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Natürlich wurden unsere Tools erheblich weiterentwickelt und das Medium, für das wir heute Designs erstellen, existierte früher gar nicht wirklich. Als ich anfing, dauerte es Tage oder Wochen, eine Präsentation vorzubereiten. Häufig waren diese Präsentationen physisch und beinhaltete Prototypen. Heute ist das eine Arbeit weniger Stunden, man gibt seine Ideen in eine Vorlage ein, verändert ein paar Sachen und schon hat man eine schöne Präsentation. Theoretisch können alle Vorgänge von ein und derselben Person ausgeführt werden – vom Konzept bis hin zum Design und dem Erstellen der Druckdateien – aber etwas ist verloren gegangen von dem Prozess, bei dem die Dinge noch von Hand erstellt wurden, beispielsweise das Drucken und Testen von Ideen (für Offline-Projekte). Dabei konnten zufällige Fehler zu neuen Ideen führen, weil man das Design buchstäblich aus einem anderen Winkel betrachtete. Designen und Erstellen eines Prototyps liefen zeitgleich ab, dadurch sparte man Zeit bei der Nachbearbeitung, da das Design bereits vor dem Präsentieren getestet wurde. Außerdem gab es früher weniger Schwerpunkte (da es so ewig lang dauerte, allen die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen). Ich habe festgestellt, dass es jungen Designern schwerfällt, ihre Arbeit zu editieren. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass in kurzer Zeit umfangreiche Projekte erstellt werden können und man endlose Auswahlmöglichkeiten hat.“

Sie arbeiten fast seit Beginn Ihrer Karriere in Führungspositionen. Stellte diese Tatsache eine zusätzliche Schwierigkeit dar, insbesondere als Frau? Und sind Sie der Meinung, dass es junge, aufstrebende Designer heute etwas einfacher haben als noch vor zehn Jahren?
„Meine erste Führungsposition hatte ich beim MoMa und das war wirklich eine Herausforderung. Anfangs, als ich in die USA zog, fühlte ich mich immer ein wenig älter und reifer als meine Kollegen. Aber als ich beim MoMa anfing, war ich plötzlich eine der Jüngeren. Das Durchschnittsalter im Museum liegt etwas höher als bei Designstudios oder Agenturen. Insbesondere, da es sich beim MoMa um eine etablierte Institution handelt, hätte ich mehr Autorität gehabt, wenn ich etwas älter gewesen wäre. So musste ich mich durch meine Arbeit beweisen.

Ich hatte nie Probleme damit, eine „weibliche Führungskraft“ zu sein, da ich starke Frauen zum Chef hatte und von bewundernswerten Frauen ausgebildet wurde. Ich habe bei Paula Scher gelernt, also von der Besten der Branche! Was die Tatsache angeht, als Frau in einer höheren Position zu sein … nun, in den Führungsetagen der Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe, waren die Männer meist in der Überzahl … bis ich zu Etsy kam. Ich habe es allerdings nie als wirklichen Nachteil angesehen, eine Frau zu sein, sondern eher als Chance, zu kämpfen und für mich einzustehen. (Als einziges Mädchen mit drei Brüdern aufzuwachsen hat mir dabei sicherlich geholfen).

Jung zu sein und in einer Führungsposition zu arbeiten, steht auf einem anderen Blatt. Wenn man ein herausragender Designer ist, spielt Alter keine Rolle. Aber um eine Führungsposition gut auszufüllen, sind ein etwas fortgeschritteneres Alter und einige Jahre an Erfahrung sehr hilfreich. Diese Erfahrung erhält man nicht nur durch harte Arbeit, sondern auch, indem man ein paar Jahre in unterschiedlichen Umgebungen arbeitet. Man lernt dabei auch von Anderen. Schließlich ist man für das Geschäft und die Mitarbeiter verantwortlich. Man muss nicht unbedingt mit Führungsqualitäten auf die Welt kommen, sondern kann sich diese durch Erfahrung aneignen. Bücher über das Ausfüllen von Führungspositionen zu lesen hilft einem da allerdings nur bedingt weiter. Das ist kein Fach, für das man sich in der Kunstakademie einschreibt. Als ich die Chance bekam, ein großes Team am MoMa zu leiten, musste ich ins kalte Wasser springen und lernte direkt im Arbeitsalltag. Ich habe das wohl viel zu ernst genommen, aber ich war eben sehr motiviert und habe mich als Sprecherin für dieses Team sehr engagiert. Ich wollte sichergehen, dass das Design auch in der Führungsetage immer ernst genommen wird.

Was mir aber später am meisten im Beruf geholfen hat, war, Kinder zu haben! Als dreifache Mutter habe ich gelernt, mit Krisen und Dramen umzugehen!“ (lacht)

Julia Hoffmann

EF wurde in den 60er Jahren gegründet, das Logo ist ein Design von Paul Rand – Wie viel Einfluss werden Sie Ihrer Meinung als neue Creative Director auf die Marke haben und was sind Ihre Pläne?
„Wir haben die Marke lediglich erneuert. Ich bin erst in der letzten Phase dieser Erneuerung dazugekommen, einen Monat vor der Veröffentlichung. Das Logo ändert sich nicht und es ist insgesamt noch zu früh, um zu sagen, wie wir die Änderungen global implementieren werden. Ich habe sehr viel Achtung vor dem Design von Paul Rand und ich glaube, wir werden das Logo, so wie es ist, sehr gut einsetzen können. In der Vergangenheit wurde dieses Logo nicht gut verwendet und meist nur klein in einer Ecke gezeigt. Deshalb wirkt es vielleicht auch so unternehmerisch. Es wird immer Leute geben, denen das Logo nicht gefällt. Aber die Marke besteht nicht ausschließlich aus dem Logo. Wir müssen uns mit dem Logo befassen und damit arbeiten, überprüfen, wie wir es einsetzen und anwenden.

Beim MoMa beispielsweise haben wir das Logo auf die Seite gelegt und sehr viel größer gemacht, sodass es grafische Formen annahm. So wurde es ein nützliches Werkzeug, mit dem wir spielerisch arbeiten konnten, und es war ein Ankerpunkt für jede Seite und jedes Kunstwerk. Bei Etsy haben wir das Logo irgendwie ignoriert, denn es ist eher eine Wortmarke. Wir haben das Wort zum Mittelpunkt des Designs gemacht. Das Logo war nicht so wichtig wie die komplette Produkterfahrung. Es gibt so viele interessante Möglichkeiten, Designs mit einem Logo zu erstellen, das dann zur Identität wird.“

Als Deutsche in New York haben Sie stets auf Englisch gesprochen und gelernt. Wie werden Design und Kunst Ihrer Meinung nach durch Sprache beeinflusst? Und in welcher Sprache erstellen Sie im Kopf Ihre Designs?
Sprache hatte einen großen Einfluss auf mich und meine Arbeit, daher hat mich der Job bei EF so angezogen. Ich liebe es, Herausforderungen anzunehmen, denn in diesen Situationen ist man am meisten man selbst. Ich spreche zwei Sprachen fließend und ich empfinde das fast so, als hätte ich zwei verschiedene Personen in mir, da ich nicht von Geburt an zweisprachig bin. Englisch habe ich als Jugendliche gelernt. Meine Kinder wachsen dreisprachig auf und ich frage mich oft, welche Erfahrungen sie damit machen werden und wie diese sie beeinflussen werden.

Jetzt bei EF bilden Sprache, Reisen und Lehren das Kerngeschäft des Unternehmens. Es geht darum, Grenzen zu überschreiten und Empathie zu erzeugen. Sprache kann eine Kultur tragen und diese Werte sprechen mich an.

Als Heranwachsende war ich furchtbar schlecht in Sprachen, sowohl in meiner Muttersprache Deutsch als auch in Englisch. Ich hatte Probleme, mich mit Worten richtig auszudrücken. Das Design bot mir endlich eine Möglichkeit, meine Ideen auszudrücken, die ich nicht in Worte fassen konnte, und die Leute verstanden diese Ideen, ohne dass ich etwas erklären musste. Das war ein sehr befriedigendes Gefühl, endlich hatte ich eine Art Macht, die ich immer vermisst hatte. Design und Kunst sind Kommunikationsformen und gehen tiefer als Worte. Man kann damit auf allen Ebenen kommunizieren.

Meine Designs erstelle ich durchgehend auf Englisch. Auf Deutsch zu designen ist schwierig. Die Sprache fühlt sich immer noch zu formal für mich an, die Wörter sind zu lang, was beispielsweise beim Posterdesign ein Problem ist. Auf Englisch kann man sich mit kürzeren Worten prägnanter ausdrücken. Das ist aber auch eine kulturelle Sache. Im Deutschen drückt man sich eher etwas gemäßigt aus, in den USA kann man mit seinem Design hingegen etwas lockerer und „lauter“ sein.

Ich persönlich erstelle meine Konzepte auf Englisch, denn das ist die Sprache, in der ich mein Handwerk gelernt habe, meine Kollegen waren immer englischsprachig. Kurioserweise kenne ich für manche Designbegriffe das deutsche Wort gar nicht.“

Welcher Trend in der Welt des Designs hat sie in den vergangenen fünf Jahren am meisten beeindruckt bzw., wie hat sich die Szene Ihrer Meinung nach verändert – insbesondere im Bezug auf die Tatsache, dass alles immer digitaler wird?
„Was mich allgemein am meisten an Trends fasziniert, ist, dass sie viel über uns als Personen aussagen. Man kann die allgemeine Stimmung der Menschen daraus ablesen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Trends im Design und dem, was auf der Welt vor sich geht.

Ich kann Ihnen aber auch sagen, welche Trends der letzten Jahre mich am meisten genervt haben. Zunächst einmal das „Startup-Design“ – all diese Pastel-, Eiscremefarben und serifenlosen Markenlogos, die dazu führen, dass alle Logos gleich aussehen. Dies und dazu das A/B-Testen lassen die neuen Unternehmen alle sehr ähnlich aussehen, da sich ihre Benutzergruppen häufig überschneiden. Außerdem glaube ich auch, dass heute viele Produktdesigner für das Logo zuständig sind, bei denen es sich nicht unbedingt um die besten Markendesigner handelt. Sie sind gut im Produktdesign und -testen, aber sie wenden nicht viel Zeit für ein Logo oder langfristige Markenelemente auf, da der Erfolg dieser nicht unmittelbar gemessen werden kann.

Es scheint so, als ob viele Startups über dieselben Daten verfügen und dieselben Designvorlagen verwenden. Das macht ja auch irgendwie Sinn, wenn man anfängt. Vielleicht bin ich da eher von der alten Schule, aber ich finde, das Design sollte zum Thema passen und zeitlos sein. Man will nicht alle zwei Jahre seine Marke umgestalten. Ein gutes Design sollte 3 bis 7 Jahre einsetzbar sein.“

Wie wichtig ist es für einzelne Designer, aber auch für Marken, sich in sozialen Medien zu bewegen?
„Das ist sehr wichtig. Sie sie sind eine großartige, kostengünstige Möglichkeit, sich selbst und seine Arbeit bzw. seine Marke und sein Produkt bekannt zu machen. Heute ist es sogar besser, in sozialen Netzwerken aktiv zu sein, als eine Webseite zu haben (die man sowieso nie aktualisiert), da man in diesen direkt und unmittelbar arbeiten kann.“

Sie haben die Berliner Gruppe der Initiative „Ladies, Wine & Design“ gestartet? Wie kamen Sie dazu und werden Sie auch in Luzern eine gründen?
„Ja und in Berlin habe ich das ehrlich gesagt aus egoistischen Gründen getan. Ich war neu in der Stadt, wollte Leute treffen und mehr Designer ins Etsy-Büro holen, ganz einfach, um ein Netzwerk aufzubauen und die Designszene der Stadt kennenzulernen. In Deutschland gibt es nicht so viele Netzwerkmöglichkeiten wie in New York. Als Jessica Walsh diese Initiative in New York begann, und fragte, wer an anderen Standorten auf der Welt ebenfalls eine solche Gruppe gründen wollte, nahm ich diese Chance wahr.

Vielleicht gründe ich auch eine solche Gruppe hier in Luzern, aber es gibt bereits eine in Zürich, also ganz in der Nähe. Außerdem sollte ich es jetzt wohl erst mal etwas langsamer angehen lassen, ich bin ja erst vor ein paar Monaten hierher gezogen. Aber Ladies, Wine & Design ist eine tolle Möglichkeit für Designerinnen, sich zu treffen und ein Netzwerk aufzubauen.“

Wodurch lassen Sie sich inspirieren?
„Um ehrlich zu sein, fürchte ich mich immer vor dieser Frage, da ich nie eine wirklich inspirierende Antwort darauf habe. Als Inspirationstipp würde ich sagen, man sollte sich nicht immer an den gleichen Orten aufhalten, sondern mal etwas völlig Neues tun, sich selbst herausfordern. Oder sich ganz einfach nur mit seinem Notizbuch in ein Café setzen und das Handy zuhause lassen, denn Smartphones sind der Inspirationskiller schlechthin.“