Zu Besuch im Museum für Druckkunst in Leipzig: Druckgeschichte und -technik erleben

Zu Besuch im Museum für Druckkunst in Leipzig: Druckgeschichte und -technik erleben

Christian Wollecke Veröffentlicht am 10/6/2018

Schrift ist heutzutage für uns ganz selbstverständlich, ob sie nun analog in Zeitungen und anderen Drucksachen oder im Netz, in Apps oder digitalen Medien erscheint. Geschriebene Texte sind ubiquitär, und der heimische Drucker erlaubt dazu, Texte einfach und schnell aufs Papier zu bringen. Kein Wunder also, wenn man leicht vergisst, wie kunstvoll und verbreitet das Druckgewerbe einst war, wie bedeutsam der (Buch-)Druck als Kulturtechnik ist und wie reizvoll die schwarzen Lettern sein können, und das nicht nur in der Retrospektive.

Für die Pflege und Bewahrung dieses Erbes, vor allem aber auch seine ganz praktische tägliche Anwendung, zeichnet das Museum für Druckkunst Leipzig verantwortlich. Es ist im Westen Leipzigs, im Stadtteil Plagwitz angesiedelt. Hinter der schmucken, fast unscheinbaren Fassade, tritt im Innenhof der industrielle Charakter des Gebäudes mit roten Klinkern und hohen Fenstern mit weißen Holzstreben deutlich hervor. Leipzig-Plagwitz wurde im 19. Jahrhundert als Industrieviertel geplant und entwickelt, und auch das Gebäude, das das Museum beherbergt, wurde tatsächlich industriell genutzt – als Druckerei.

Innenhof des Museums: Die roten Klinker sind typisch für Industriegebäude. Foto: Museum für Druckkunst Leipzig

Ein Ort für lebendige, historische Drucktechnik

Während das Foyer und die Eingangsbereiche modern mit viel Holz gestaltet sind, haben die Ausstellungsräume den Werkcharakter behalten. Das Gebäude atmet einen Manufakturgeist, es würde einen nicht wundern, wenn jeden Moment die Setzer in ihren Anzügen und weißen Kittelschürzen in die Werkhallen strömten, die Meister in den verglasten Büros säßen. Alles ist sauber, zweckmäßig und minimal eingerichtet – eine echte Werkhalle eben. Die Facharbeiter sind heutzutage durch das Personal des Museums ersetzt worden, das ebenfalls drucktechnisch bewandert bzw. ausgebildet ist. Die Mitarbeiter/-innen führen die Maschinen vor und erläutern die jeweilige Funktion, ob es nun um Hoch-, Tief- oder Flachdruck geht.

„Wir wollen einen lebendigen Umgang mit dem bedeutenden historischen Erbe der Druckkunst pflegen: Die Kraft der Maschinen wird unmittelbar erlebbar, aber auch, wie viel Feingefühl und Präzision für den Druck nötig sind. Gerade deshalb freuen wir uns auch, dass die Unesco die künstlerischen Drucktechniken in das Immaterielle Kulturerbe aufgenommen hat.“ Susanne Richter, Direktorin Museum für Druckkunst

Die Lithografie als Vorläufer des Offsetdrucks

Apropos Flachdruck: Mit einer Steindruckschnellpresse beginnt der Ausstellungsrundgang im Erdgeschoss in der großen Maschinenhalle. 12 Tonnen wiegt sie und ermöglicht es, in großer Zahl Lithografien anzufertigen, also Steindrucke. Hierbei wird, verkürzt gesagt, Farbe von einem Kalkschieferstein aufs Papier gebracht, indem nur bestimmte Bereiche die Farbe annehmen und wieder abgeben. Die Technik wird im Museum zunächst an einer kleineren Handpresse demonstriert und erläutert. Das Verfahren wurde von Alois Senefelder erfunden, es ist der Vorläufer des heutigen Offsetdrucks. Die Lithografie ermöglichte im 19. Jahrhundert und auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts farbige Drucke in größerer Auflage. Allein der Stein, der bei der Steindruckschnellpresse zum Druck verwendet wird, wiegt ungefähr 200 Kilogramm. Endgültig fasziniert dann, wie sich das große Schwungrad schneller und schneller in Bewegung setzt und die Maschine ihren gleichmäßigen Rhythmus aufnimmt und die fertig bedruckten Blätter zur Ablage bringt, wo sie von Hand entnommen werden.

Die Steindruckschnellpresse stammt aus dem Jahr 1894, gebaut wurde sie von der Firma Faber & Schleicher. Foto: Museum für Druckkunst Leipzig

Größere Maschinen aus dem Hochdruckbereich stehen wie die Steindruckpresse für die zunehmende Geschwindigkeit und Perfektionierung der Druckkunst. Anhand von frühen Modellen ist gut nachzuvollziehen, wie vorhandene Probleme nach und nach gelöst wurden. Die frühen, händisch betriebenen Pressen sind echte Hingucker. Gleich im Foyer steht der Nachbau einer Spindelpresse ganz aus Holz. Ein Greif bildet den krönenden Abschluss – er ist das Wappentier der Buchdrucker. Auch die Nachfolger dieser Modelle, Kniehebelpressen, stechen vor allem mit ihren kunstvollen Verzierungen ins Auge. Auf einer Presse ist zum Beispiel Johannes Gutenberg als Figur aus Metall aufgesetzt. Die Kniehebelpresse erhöht über einen Hebelmechanismus die verfügbare Druckkraft, außerdem wurde beim Bau dieser Modelle zunehmend Metall verwendet, da es haltbarer ist und weniger stark auf Temperaturwechsel oder Feuchtigkeit reagiert.

Nachbau einer Spindeldruckpresse, das Original stammt aus dem Jahr 1740. Foto: Museum für Druckkunst Leipzig
Kniehebelpresse “Hagar-Presse”, die ab 1866 vertrieben wurde. Die Standfigur stellt Johannes Gutenberg dar. Foto: Christian Wöllecke

Druck und Schriftsatz gehen Hand in Hand

Auch in der Schriftgießerei bzw. beim Setzen von Lettern wird deutlich, wie aufwendig der Druck einstmals war. Der Prozess verläuft von der Anfertigung einer Matrize, die als Gussform für die Schrift dient, über das Herstellen und schließlich das Setzen der Lettern. Während man für die Matrizen ein weicheres Material verwendet, in das die Gussform vorab mittels (gehärtetem) Stahlstempel geprägt wurde, wurden die Lettern mit einer Legierung aus Blei, Zinn und einem Anteil von Antimon gegossen, wobei Antimon den fertigen Lettern die nötige Festigkeit gibt. Auch dies kann sehr anschaulich nachvollzogen werden. Technikenthusiasten kommen erneut auf ihre Kosten – sei es bei der vollautomatischen Herstellung von Lettern mit Komplettgießmaschinen oder wenn der Setzkasten schließlich von Maschinen abgelöst wird, die in der Art einer Schreibmaschine das Gießen und zeilenweise Setzen in einem Arbeitsgang übernehmen. Diesen Fortschritt kann man zum Beispiel an den im Museum ausgestellten „Linotype“-Modellen nachvollziehen.

„Linotype Modell Quick“ aus dem Jahr 1958. Foto: Klaus-D. Sonntag

„Was mich an unserem Museum immer besonders fasziniert, ist dieser ganz eigene Geruch, der hier herrscht. Es ist eine einzigartige Mischung, es riecht nach Schmierstoffen, nach Druckfarbe, nach Maschinenöl. Man kann das gar nicht genau beschreiben, aber es ist sehr charakteristisch.“ Sara Oslislo, wissenschaftliche Volontärin

Ähnlich komplex und leistungsstark präsentieren sich Druckmaschinen wie der sehr verbreitete Tiegeldruckautomat „Original Heidelberger Tiegel“ oder die Schwingzylindermaschine Gudrun („Victoria-Front“). Während eine Kniehebelpresse mit drei Bedienern etwa 80 Bögen schafft, wurde es mit den ersten Schnellpressen ab 1812 möglich, 800 bis 1000 Druckbögen pro Stunde zu produzieren. Spätere Modelle weisen eine Leistung von 5000 Bögen pro Stunde auf. Der in der Ausstellung stehende „Heidelberger Tiegel“ schafft bereits 5500. Das gelingt, indem die Trocknung der Druckbögen direkt im Druckablauf geschieht oder bei bestimmten Modellen auch die Bogenan- und -ablage der Papierbögen vollautomatisch erfolgt. Eng verquickt sind die einzelnen Entwicklungen immer auch mit der historischen Situation in den jeweiligen Ländern. Ein großer Teil der Entwicklungen vollzog sich in England im Zuge der industriellen Revolution. Häufig waren bestimmte Rohstoffe zunächst auch nur in bestimmten Ländern erhältlich. Auch dass Maschinen nicht immer nur mit Dampf, sondern (zuvor) auch mit menschlicher Kraft (teilweise auch Kinderarbeit) betrieben wurden, kann man in der Ausstellung bei einer Führung erfahren.

An Kniehebelpressen lassen sich maximal 80 Bögen pro Stunde drucken. Sie sind eine Weiterentwicklung der Spindelpresse. Hier ein Modell aus dem Jahr 1865. Foto: Museum für Druckkunst Leipzig
Heidelberger Tiegeldruckmaschine Foto: Museum für Druckkunst Leipzig
Der Druckbogen wird von der Maschine nach dem Druck zur Stapelauslage befördert. Foto: Christian Wöllecke

Ein lohnenswerter Blick in die Kultur- und Technikgeschichte des Druckens

Bei allem Schauwert der gezeigten Maschinen tritt keine nostalgische Verklärung ein. Es ergibt sich vielmehr ein Bild über den ständigen Drang, die Technik des Druckens zu vervollkommnen. Gleichzeitig gehen die althergebrachten Techniken nicht verloren, sondern sie behalten ihren Reiz, nicht zuletzt, wenn Künstler/-innen mit ihnen arbeiten. Dabei stehen nicht die Erfordernisse alltäglicher Massenproduktion im Vordergrund, sondern bestimmte Aspekte der historischen Technik werden fruchtbar gemacht für den künstlerischen Ansatz. Es ist ein weiterer Wert des Museums, dass hier immer wieder Projekte entwickelt und umgesetzt werden, dass die Drucktechnik wirklich lebt, zum Beispiel bei der Herstellung von Postern, Einladungen und Flyern.

Immer wieder entstehen auch Arbeiten mit Künstlern: Hier der Druck „Typezig“, ein Wortspiel in Anlehnung an „Hypezig“, die befürchtete/erwartete Gentrifizierung Leipzigs. Foto: Christian Wöllecke

Der Weg zu unserem unkomplizierten und von Schnelligkeit geprägten Umgang mit Schrift und Druck ist länger, als man sich das heute oft vorstellt, denn es lag eine ganze Menge zwischen Gutenberg und dem heutigen Drucker für den Hausgebrauch. Darum ist das Museum genauso interessant für Fachbesucher wie für Laien. Die Drucktechnik ist ein elementarer, wenngleich inzwischen leider ziemlich verborgener Bestandteil menschlicher Kulturgeschichte der letzten 500 Jahre. Wer sich einen historisch-technischen Zugang zu dieser Materie wünscht, ist nirgendwo besser aufgehoben als im Museum für Druckkunst in Leipzig.