Papier und seine schöpferischen Ausdrucksmöglichkeiten

Papier und seine schöpferischen Ausdrucksmöglichkeiten

Eugenia Luchetta Veröffentlicht am 9/10/2018

Im Allgemeinen dient Papier als Trägermaterial für gemalte, gezeichnete, geschriebene und gedruckte Werke. Aufgrund des besonderen Herstellungsverfahrens, seiner Leichtigkeit und Vielseitigkeit ist es aber durchaus einer Hauptrolle würdig.

In den letzten Jahren zelebrierten verschiedene Museen, Institutionen und Künstler das Potenzial von Papier. Hier vier bekannte Beispiele, die von Ausstellungen über Installationen bis hin zu einzelnen Kunstwerken reichen, die das Papier selbst in den Fokus rücken.

Emmanuelle Moureaux, 100 colors no.1

Tokio, 2015

Die französische Architektin Emmanuelle Moureaux lebt seit etlichen Jahren in Tokio: Mit ihren Farben und ihrer geschichteten Struktur ist die Stadt eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für ihre Arbeiten. Die Poesie zahlreicher Werke Moureaux’ lässt sich mit Hilfe des von ihr entwickelten Konzepts „shikiri“ begreifen, das so viel bedeutet wie „einen Raum mit Farben gestalten“. Farben, häufig in Form von Papierblättern oder -streifen, werden von ihr als dreidimensionales Medium zur Raumgestaltung verwendet und nicht als reine Dekorationselemente, die nachträglich montiert werden.

Für das Kunstfestival „Shinjuku Creators Festa“, das 2013 in Tokio stattfand, schuf Moureaux die bemerkenswerte Installation ‚100 colors‘ (die erste einer ganzen Reihe von Farbexperimenten), die vollkommen aus Papier bestand. 100 Farbtöne auf 840 Bogen Papier, die an zierlichen Fäden hängen – so entsteht eine Art Regenbogen, der sich durch den Raum zieht. Die Installation, die anlässlich des 10. Jubiläums ihres Büros gezeigt wurde, feiert die Schönheit der Farben und die Emotionen, die durch ihre allgegenwärtige Präsenz in den Straßen Tokios hervorgerufen werden.

Emmanuelle Moureaux, 100 colors no.1, Tokyo 2013
Emmanuelle Moureaux, 100 colors no.1, Tokyo 2013

Pure Pulp: Contemporary Artists Working in Paper at Dieu Donné

Dieu Donné, New York

Juni bis 5. August 2016

September bis 16. Oktober 2016

Dieu Donné ist eine gemeinnützige Kultureinrichtung in New York, die sich der Förderung etablierter und junger Künstler verschrieben hat, deren Werke auf dem Entstehungsprozess handgeschöpften Papiers beruhen. Die Organisation setzt sich dafür ein, Materialien, die bei der Papierherstellung verwendet werden – wie etwa Leinen, Baumwolle, Pigmente, Wasser und Methylcellulose – im künstlerischen Kontext zu nutzen. Die Arbeiten, die im Atelier entstehen, nehmen Papier nicht als Trägermedium wahr, sondern als Mittel künstlerischen Ausdrucks.

Die Ausstellung Pure Pulp, die 2016 an verschiedenen Orten gezeigt wurde, umfasst die heterogenen Arbeiten von 20 Künstlern, die in den vergangenen 15 Jahren ein „Internship“ bei Dieu Donné absolvierten, darunter Jim Hodges, Arlene Schechet, William Kentridge, Ursula Von Rydingsvard und Do Ho Suh. Viele der beteiligten Künstler sind nicht für ihre Papierarbeiten bekannt, betrachteten ihren Aufenthalt im Atelier aber als Möglichkeit, mit einem neuen Medium zu experimentieren und die eigenen praktischen Fähigkeiten zu erweitern. So unterschiedlich das Format und die Dimensionen (Studien, Bilder, Skulpturen …) auch sein mögen, alle Werke basieren auf Papierbrei als gemeinsamem Ausgangsmaterial.

Pure Pulp: Contemporary Artists Working in Paper at Dieu Donné. Fotografie von John Bentham. Mit freundlicher Genehmigung von Dieu Donné, New York
Pure Pulp: Contemporary Artists Working in Paper at Dieu Donné. Fotografie von John Bentham. Mit freundlicher Genehmigung von Dieu Donné, New York

Kumi Yamashita, Origami

American Express, New York, 2011

Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Werk der New Yorker Künstlerin Kumi Yamashita wirft, sieht eine elegante Reihe farbiger Post-its, die gleichmäßig auf einer weißen Wand verteilt sind. Dem aufmerksamen Betrachter erschließt sich aber rasch eine extrem faszinierende Sammlung menschlicher Profile, die sich deutlich voneinander unterscheiden.

Das Werk entstand 2011 im Auftrag von American Express und war für die Lobby des New Yorker Firmenstandorts gedacht.

Wie der Titel suggeriert, wurde das Werk mit Origamipapier erschaffen. Die Künstlerin faltete die Blätter mit akribischer Genauigkeit von Hand und ordnete diese sorgfältig an, um die Profile der 22 Mitarbeiter als Schattenbilder zu reproduzieren. Eine einzige, seitlich angebrachte Lichtquelle beleuchtet die Arbeit und projiziert die Schatten.

Die Magie der Arbeit von Kumi Yamashita liegt in der Schlichtheit des Ausgangsmaterials, ein simples Papierquadrat, das jedoch eine schier unermessliche Zahl an Formen annehmen kann – quasi eine Metapher für die menschliche Natur.

Kumi Yamashita, Origami, American Express, New York, 2011
Kumi Yamashita, Origami, American Express, New York, 2011

Supermarket of the Dead

Staatliche Kunstsammlungen Dresden

März bis 14. Juni 2015

Die Ausstellung Supermarket of the Dead war 2015 in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen. Bei dieser Schau drehte sich alles um die alte, aber weiterhin praktizierte, chinesische Tradition, papierene Nachbildungen von Gütern oder Geld als Votivgabe für die Ahnen, Götter und Geister zu verbrennen. Gemäß der Tradition verlassen die Verstorbenen im Augenblick des Todes das irdische Leben ohne materiellen Besitz, und diesen müssen folglich die Familienangehörigen beibringen.

Besondere Aufmerksamkeit schenkte Supermarket of the Dead der steigenden Zahl an Reproduktionen von Luxusprodukten und typisch westlichen Konsumgütern, die als Brandopfer käuflich erworben werden können. Gucci-Taschen, Prada-Schuhe, iPhones, Zigaretten und Autos in Originalgröße zählten zu den Ausstellungsstücken aus Papier, die in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen waren.

Diese flüchtigen Objekte veranschaulichen, wie sich der westliche Markenkult und das Streben nach materiellem Besitz in der chinesischen Gesellschaft verankert haben und wie dies mit einem Jahrtausende alten Ritus verknüpft wurde.